Noch zehn Minuten. Unruhe macht sich breit an den acht langen Tischen in der Alten Lokhalle von Mainz. Eben noch saßen die meisten der mehr als 200 Teilnehmer des Deutschland-Turniers der Quizz-Weltmeisterschaften 2024 hochkonzentriert über ihren Fragebögen. Die Stirn gerunzelt, die Augen hilfesuchend zum Himmel gerichtet, nervös am Stift herumspielend oder hektisch irgendetwas auf den Blättern notierend. Jetzt stehen die Ersten auf, verlassen den Saal.
Einer schüttelt fassungslos den Kopf, andere zeigen verschlossene Mienen, aus denen sich nicht ablesen lässt, ob sie zufrieden oder frustriert sind. 240 Fragen aus acht verschiedenen Themengebieten, von Geschichte über Kultur bis Wissenschaft, waren ihnen gestellt worden. Zweimal eine Stunde hatten sie dafür Zeit, jeweils 30 Sekunden pro Antwort. Das reicht kaum, um die Texte genau zu lesen. Manche Fragen ziehen sich über fünf oder sechs Zeilen.
Andere Länder den Klügsten hierzulande voraus
Profis wie Sebastian Klussmann erfassen beim Überfliegen die Buzzwords – die wichtigsten Begriffe. Unter dem Zeitdruck könne das allerdings auch in die Irre führen, sagt der Berliner. Vielleicht geht es am Ende doch um etwas anderes, als man bei solchem Querlesen im ersten Moment zu verstehen glaubt.
Klussmann, einer größeren Öffentlichkeit als einer der Jäger aus der ARD-Show „Gefragt – Gejagt“ bekannt, war in den vergangenen beiden Jahren bester Deutscher bei diesen Titelkämpfen und wird es – obwohl er durch einen Infekt geschwächt, „einige Sachen liegen“ lässt – dieses Mal abermals sein. Mit 114 von 240 Punkten rangiert er im internationalen Zwischenklassem*nt am Sonntagmorgen auf dem 110. Platz unter mehr als 1700 Konkurrenten. Die Amerikanerin Victoria Groce liegt mit 170 an der Spitze, Vorjahressieger Ronny Swigger aus Belgien mit 159 auf Rang drei.
„Wenn man in der Schule nur die Hälfte der Fragen richtig beantwortet, bekommt man eine Vier minus. Hier ist man damit gut dabei“, sagt Sebastian Geschwindner aus dem Vorstand des Deutschen Quiz-Vereins (DQV), der für die zentrale Veranstaltung in Mainz verantwortlich ist.
Weltweit werden an diesem Wochenende die gleichen Fragen durchgespielt, in Australien wie in China oder in Madagaskar, wo drei Teilnehmer gemeldet sind. In Deutschland beteiligt sich eine der größten Communitys. Dennoch sind andere Länder den Klügsten hierzulande voraus. Einen Grund dafür sieht Klussmann darin, dass bei nationalen Meisterschaften 30 Prozent der Fragen einen Deutschland-Bezug haben. Man sei so nicht optimal vorbereitet auf das internationale Messen. Doch Quizzen soll Breitensport sein, und durch Bekanntes und Naheliegendes steigen die Quoten und damit die Chancen, dass die Teilnehmer nicht die Freude verlieren.
Klussmann selbst hat vor 13 Jahren den DQV gegründet und bis 2023 geführt. Die Mitgliederzahlen sind von ursprünglich einer Hand voll auf mehr als 1300 gestiegen. Auch, weil er selbst bei seinen Fernsehauftritten viel Werbung dafür macht. An knapp 50 Standorten gibt es Gruppen, die sich regelmäßig treffen. In einer Online-Liga spielen 94 Mannschaften mit. Fast jeden Monat ist ein Turnier des Deutschland-Cups ausgeschrieben.
„Ich habe keine anderen Hobbys“, sagt Vanessa Engelhardt. Mehrmals in der Woche trifft sie sich mit Gleichgesinnten zum Pubquiz. In der Altersklasse U 30 gewann sie mit dem Nationalteam 2019 Silber bei den Europameisterschaften. Begleitet wurde sie von James, einer grau-schwarz-weißen Ziege. Das Stofftier ist mit nach Venedig oder Sofia gereist, um seiner Besitzerin beim Frage-Antwort-Spiel Glück zu bringen.
Obwohl in Mainz viele weitere Maskottchen zu sehen sind, verlassen sich die meisten, die regelmäßig quizzen, nicht nur darauf. Zwar lernt man bei jeder Runde dazu, doch viele verbringen Zeit damit, sich weiterzubilden. Klussmann, schon als Kind als „wandelndes Lexikon“ bekannt, lernt weniger Dinge auswendig.
Vokabeln zu pauken, mache kaum Spaß, und den wolle er beim Lernen aber haben. Geographie eignet er sich über Reisen an, Essen und Trinken über das Schmecken. Eine Liste mit knapp 1000 Speisen und Getränken hat er sich aus dem Internet gezogen, die er genüsslich abarbeitet. Die gesuchte ursprüngliche Bezeichnung des gewürzten Hühnerfleischs, die auf den Spitznamen eines früheren Gouverneurs der Provinz Szechuan zurückgeht, fiel ihm bei der WM sofort ein: „Weil ich es schon mal gegessen habe.“
In zwei anderen Fällen kam der 35 Jahre alte Mann nicht gleich auf die Antwort, obwohl er sie schon gewusst hat. „Ich schreibe dann das ABC herunter.“ In der Regel verspüre er dann bei einem Buchstaben ein Gefühl, das ihm zeige, dass er sich auf der „Goldroute“ bewege. Anderes könne er sich logisch herleiten. Aktuelles WM-Beispiel aus dem Themenbereich „Welt“: Gesucht wurde das Land, dessen Exklave die Sonderverwaltungszone Oé-Cusse-Ambeno ist. Deren portugiesische Kurzform und die Lage am Savu-Meer, die in der Frage angegeben waren, ließen den erfahrenen Rätselfreund richtig auf Osttimor schließen.
Wer dabei nichts versteht, soll sich nicht abschrecken lassen. Es gibt auch deutlich einfachere Fragen. „Man braucht keinen IQ von 150, um mitzumachen“, hebt Klussmann hervor. Jeder und jede kann sich versuchen und sogar gleich bei der WM einsteigen. Die Gelegenheit nutzen abermals viele Neugierige. „Ein akademischer Abschluss sagt nicht viel über Allgemeinbildung aus“, sagt Klussmann. Selbst wenn sich besonders viele Lehrer unter den Quizzfreunden finden.
In Mainz sind unterschiedliche Alters- und Berufsgruppen vertreten. Neben Klussmanns Jäger-Kollegen verfügen auch viele andere schon über TV-Erfahrung. Die Sender nutzen derartige Wettbewerbe, um Kandidaten für die verschiedensten Formate zu finden. Klussmann selbst kam einst über eine EM-Teilnahme zu seinem Job im „Ersten“.
Für ihn ist Quizzen Sport, Niederlagen gehören dazu. Beim ersten von mehreren Fun-Wettbewerben, die das WM-Wochenende ergänzen, scheitert er am Finaleinzug und dem gewünschten Duell mit seinem Nachfolger als DQV-Vorsitzender, Pierre Frotscher. Wie lange ein Richter zum Bundesverfassungsgericht gehören kann, hat er falsch getippt: 14 statt zwölf Jahre. Während Frotscher als Sieger eine Gehirnzelle aus Plüsch überreicht bekommt, ärgert sich Klussmann: „Das sollte man normalerweise wissen.“
